SINNFRAGE 

Wer wir sind, was wir sind, was ist aus uns geworden, was wird mit uns sein?

Aus Pfotzies Memoiren:

"Ich war ängstlich. Wieder einmal war ich der Neue, ein Fremdkörper, ein Furunkel am Gesäß einer eingeschworenen Klassengemeinschaft. Und davor hatte ich Angst. Wer ist schon gern ein Furunkel? Meine Erfahrungen mit diesem Existenzzustand waren nicht gerade die Besten gewesen. Was mich wohl erwarten würde? Schüchtern stellte ich mich an die Fensterbank gegenüber der Klassentür. Die Tür war fast geschlossen, aber der Lärm aus dem Inneren hatte nur wenig Mühe an mein Ohr zu branden. Sollte ich es wagen, einfach hinein zu gehen? Schlimmer konnte es nicht kommen, dachte ich. Beherzt wollte ich an die Tür treten, als diese von innen aufgestoßen wurde. Zwei raufende Halbstarke hatten sie im Eifer ihres Gefechts geöffnet. Was ich durch die nun weit geöffnete Tür zu sehen bekam, verblüffte mich leidlich. Da saßen plappernde Mädchen, da rauften mehrere Jungs miteinander, irgendwelche Gegenstände flogen durch die Luft, und der Lärmpegel war enorm. Ich wagte es, den Kopf durch die Türzarge in das Inferno zu richten. Aus der hintersten Ecke hörte ich nur einen Schrei:  "Deckuuung!"

Aus den Augenwinkeln sah ich einen gelblichen Gegenstand auf mich zufliegen. Geistesgegenwärtig riss ich den Kopf zurück über die vermeintlich sichere Demarkationslinie. Der Gegenstand indes enttarnte sich im Vorbeiflug als Tafelschwamm, welcher mit Wucht und einem satten Platschen auf die Wand aufschlug und dort einen ansehnlichen, tränenden Fleck hinterließ. Nach vorsichtiger Lagepeilung traute ich mich dann doch hinein. Ich glaubte eine gesunde Mischung von gebremster Neugier und geschäftiger Teilnahmslosigkeit zu spüren, denn niemand machte Anstalten, die Kampfhandlungen zu beenden. Das beruhigte mich irgendwie. Hier konnte man Spaß haben. Unverletzt fand ich einen Platz neben einem langen Kerl, der respektvoll mit "Kurssprecher" angeredet wurde. Ob hier alle mit ihren Funktionen angesprochen wurden? - Klassensprecher? Tafelwischer? Famila-Boy? Nein, das dann doch nicht, denn schon bald war ich nicht mehr der Neue, sondern Pfotzie. Und was sollte das wohl für eine zweifelhafte Funktion sein? Nein - keine Funktion, nur Spaß. Summer of '89 - The best days of my life."

 

 

Eigentlich für die gedacht, die aus Zufall hier sind (also primär für Nicht-10d-ler), daher tun wohl als Einstieg einige Erklärungen Not:

Wer wir sind:
Die 10d war eine der vier Abschlussklassen des Jahrgangs 1990 der CRRS, der Christian-Rohlfs-Realschule zu Soest. Mit dem Datum 30.5.1990 erlangten wir unsere mittlere Reife, obwohl einige Lehrkräfte der Meinung waren, uns habe eine wie auch immer geartete Reife stets gefehlt; bei einigen hat sich diese Meinung wohl auch nicht geändert.
Wir sahen uns immer als etwas Besonderes an, wir waren chaotisch, anarchistisch und unangepasst. Wir waren die letzten Halbstarken im eigentlichen Sinne, bevor die Techno-Generation den Paukern das Leben noch schwerer machte. Da wurde hemmungslos rumgeprollt, mit Seitenstäder-Mofas von Puch oder Kreidler, die in abenteuerlicher Schlagseite auf dem Schulhof parkten. Da gab es Popper, Punker und Normalos, die bei allen Gegensätzen doch eines vereint hat: Die Lust am Spaß, an Feten, an Randale und die aktive und kollektive Baldur-Abwehr. Doch bei alldem waren wir eigentlich immer fair, nie brutal, nie kränkend.
Bei unseren Parallel-Klassen waren wir als Radau-Brüder verschrien, was uns eine gehörige Portion Respekt einbrachte. Keiner wagte es, jemanden aus der d anzupacken, anzumosern oder gar ihr ihre angestammten Plätze auf dem Schulhof oder in der Pausenhalle streitig zu machen. Derjenige wusste: Dann habe ich den Haufen am Hals. Einer für alle, alle für einen und alle gegen die Pauker. Wir waren eben "die d".
 
Was sind wir? Was ist aus uns geworden?
Heute ist das natürlich alles ganz anders. Die ehemaligen Klassenmitglieder sind in alle Winde zerstreut, bei einigen ist die Zeit nicht mehr da, oder das Interesse. Denn die meisten sind ja berufstätig, einige studieren (einige sind sogar Beamte). Mittlerweile sind alle gestandene Menschen, teilweise auf bemitleidenswerte Art erwachsen geworden, entgegen aller Warnungen sogar verheiratet und trotz moderner Methoden der Geburtenkontrolle haben sich einige vermehrt und dieser Erde, dem Vaterlande und der Rentenkasse neue Bürger geschenkt.
Man könnte meinen, wir seien normal geworden. Ja, viele schon, aber einige haben sich ihre 10d-Identität nicht durch den schleichenden Virus der spießigen Vorgarten-Gesellschaft verseuchen lassen. Und spätestens beim Klassentreffen ist's dann am Tag: Es war ein bemerkenswerter Korpsgeist und Kameradschaft vorhanden, die man auch heute noch spüren kann, wenn man die 10d auf ihren Klassentreffen beobachtet.
 
Was wird mit uns sein?
Wir werden natürlich alle unsere Wege gehen, uns vielleicht auch irgendwann aus den Augen verlieren - bis auf den harten Kern, der sich immer mal wieder trifft. Und das ist schade, denn wir (d.h. die Organisatoren der Klassentreffen) haben uns immer auf und über JEDEN gefreut, auch auf diejenigen, die eben nicht zu dem harten Kern gehören. Keiner wäre unerwünscht gewesen, oder es wären verwunderte Fragen gestellt worden, was der/die denn hier wolle, sei doch noch nie dabei gewesen... 
Nun, Gedanken dieser Art hatten sich (vorerst) erledigt, denn das 10-jährige Klassentreffen Ende Juli 2000 war vorerst das letzte seiner Art. Damit hatten Pompe und ich unser Versprechen erfüllt, das wir damals aus einer Bierlaune heraus abgegeben hatten: 10 Jahre lang jedes Jahr eine Klassenfete. Einige werden fragen: Und dann? Keine 10d mehr? Ist sie tot? Keine Klassentreffen mehr? Mitnichten!
Die 10d-ler hielten es ganze 4 Jahre ohne aus. Im Juli 2004 machten uns Uli und Nicole das Geschenk, eine wundervolle Fete zu organisieren. Und fast alle kamen...ein herrlicher Abend. 
Außerdem...es gibt ja immer noch Kirmes.
 

Copyright-Information: © Markus "Pfotzie" Loer 2006.
Stand: 14. März 2009.